Historische Erlebnisse in szenischer Darstellung
NGL-Schüler bringen in Gurs historische Zeitzeugin zum Sprechen
Die Zeit des Zweiten Weltkriegs aus der Sicht einer Zeitzeugin kennenzulernen – diese Gelegenheit haben fünf NGL-Schüler ergriffen. Bei mehreren Begegnungen am NGL befragten sie die 91-jährige Simone Rist, die als Kind im zentralfranzösischen Le Chambon-sur-Lignon miterlebte, wie die Bewohner ihres Dorfes jüdische Kinder versteckten. Dabei bereiteten sie eine szenische Darstellung vor, die sie gemeinsam mit der Tochter eines Widerstandskämpfers im Rahmen des Gurs-Projekts des NGL Anfang Juni in Frankreich aufführten.
Eine Schülerin des NGL fasste ihre Eindrücke in Worte: „Frau Rist hat Dinge – zwar aus junger Perspektive, aber trotzdem bewusst – erlebt und möchte diese Erinnerungen teilen.“ Heutzutage bekomme man dazu nur noch selten die Möglichkeit. Diese mache es umso wichtiger, „dass man sich mit diesen Menschen austauscht. Sie sind der Kern der Erinnerung“, so Charlotte aus der 11d. Die Arbeit mit Frau Rist sei nicht nur für sie, sondern auch für die anderen teilnehmenden Schüler eine sehr wertvolle persönliche Erfahrung gewesen. So hätten sie vieles gelernt und festgestellt, „dass es großen Mut erfordert seinen Mund aufzumachen und über Ereignisse zu reden, die alles andere als schön sind. Zeitzeugen verdienen unseren großen Respekt, da sie diese Erlebnisse von damals immer mit sich herumtragen.“
Die szenische Darstellung war Teil eines Begegnungsprogramms, das jugendliche Deutsche und Franzosen an Orte rund um das Internierungslager Gurs in den französischen Pyrenäen führte. Dabei ging es zum einen darum, die historischen Orte und Lebenswege spürbar und begreifbar zu machen, zum anderen aber auch darum, das komplexe System aus Internierungs-, Konzentrations- und Vernichtungslagern in Frankreich und Deutschland während des Zweiten Weltkriegs zu verstehen. Auch mit Blick auf die Gegenwart eine wichtige Aufgabe. So machte der Historiker und Gurs-Experte Claude Laharie bei der Diskussion mit den Schülern den Zusammenhang deutlich: Hass und Ausgrenzung sowie Gesellschaften, die auf der Einteilung in höher- und minderwertige Gruppen fußen, führten zu Gurs und Gurs zu Buchenwald und Buchenwald zu Auschwitz.
Daher ist das Internierungslager Gurs auch nur der Ausgangspunkt des Projekts. Denn es gehe um mehr, so Michael Rüdel, Lehrer am NGL, der die deutschen Schüler nach Frankreich begleitete. „Es geht um die Frage, welchen Wert die junge Generation künftig der historischen Erinnerung beimisst. Wie sie ‚devoir de mémoire‘ – die Pflicht zur Erinnerung – und ‚Vergangenheitsbewältigung‘ fortsetzen will. Wie sie Verantwortung für das Geschehene übernehmen und verantwortungsvoll die Zukunft gestalten will.“ In den Worten seiner Kollegin Margit Sachse, Leiterin der Initiative Schüler:innen gegen Vergessen für Demokratie der Lichtenbergschule Darmstadt gehe es außerdem darum, die Wünsche der jungen Menschen mit innovativen Zugängen ernst zu nehmen.
In der deutsch-französischen Gesellschaft ist das schon lange geübte Praxis, in den Beziehungen vieler traumatisierter Länder und Regionen Europas und der Welt sind diese Fragen aber von besonderer Aktualität. Für Elke Jeanrond-Premauer ist es deswegen wichtig, dass der Prozess der historischen Erinnerung weder Selbstzweck, noch ohne Fortsetzung bleibt. „Zukunft braucht Erinnerung und Erinnerung braucht Zukunft“, so die Journalistin und Leiterin des Begegnungszentrums Château d’Orion. „Ich wünsche mir, dass aus der Begegnung eine Bewegung wird.“
Émile Vallés, der als Sohn eines Internierten den Umgang mit dem Lager Gurs in der Nachkriegszeit als Zeitzeuge erlebt hat und regelmäßig durch das Lager führt, gab den jugendlichen Besuchern das Bild eines Schmetterlings mit auf den Weg: Dieser stehe für Schönheit, Freiheit und Zerbrechlichkeit. „Genauso ist es mit der Demokratie“, so Vallés. „Auf die Demokratie muss Acht gegeben werden. Das ist eure Aufgabe!“
„Il y a un mémorial en Espagne pour le souvenir des républicains espagnols fusillés. Ce monument est un vol de papillons, grands papillons, moyens papillons, petits papillons. Pourquoi des papillons ? Le papillon symbolise la beauté, la liberté et la fragilité. Beauté, liberté, fragilité, c’est exactement la définition de la démocratie. Il faut veiller à la démocratie. Ce sera votre rôle.“
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„Es gibt in Spanien ein Denkmal, das an erschossene spanische Bürgerkriegskämpfer erinnert. Es ist ein Schmetterlingsschwarm mit großen Schmetterlingen, mittleren Schmetterlingen, kleinen Schmetterlingen. Warum Schmetterlinge? Ein Schmetterling steht für die Schönheit, die Freiheit und die Zerbrechlichkeit. Schönheit, Freiheit, Zerbrechlichkeit – genau so ist es mit der Demokratie. Auf die Demokratie muss Acht gegeben werden. Das ist eure Aufgabe.“
Émile Vallés
Mehr Informationen über die Gurs-Projektgruppe am NGL gibt es hier.