Brünner Partnerschule unterstützt HISTOLAB-Gurs-Projekt
Ein Interview von Lena und Ruth mit Matyáš

Matyáš vom Gymnasium Křenová und Lena und Ruth vom NGL haben sich bei der diesjährigen deutsch-tschechischen Schreibwerkstatt kennengelernt. Matyáš hat sich mit den Stolpersteinen seiner Heimatstadt beschäftigt - Lena und Ruth haben ihn zu seinen Erfahrungen befragt. Hier das Interview.

Die meisten von euch kennen wahrscheinlich Stolpersteine – die kleinen, in den Boden eingelassenen Metallfliesen. Diese gibt es nicht nur in deutschen Städten sondern auch in anderen, zum Beispiel in der Stuttgarter Partnerstadt Brünn. Matyáš, ein 17-jähriger Brünner, hat sich mehrere Wochen lang mit den Stolpersteinen seiner Stadt beschäftigt und darüber eine Reportage geschrieben. Wir haben ihn durch ein vom Literaturhaus organisiertes Projekt kennengelernt, dessen Ziel es ist, die Jugend aus Deutschland und Tschechien zusammenzubringen. Matyáš ist ein lustiger, sprachbegabter Schüler, der sich für Geschichte interessiert. Während unseres kurzen Aufenthaltes in Brünn konnten wir ihn ab und zu dabei beobachten, wie er ein Stück hinter der Gruppe zurückblieb und die Stolpersteine vor sich auf dem Boden inspizierte. Wie er interessieren sich auch die Schüler des „NGL-Gurs-Projektes“ für Einzelschicksale und historische Ereignisse. Was er bei seinem Projekt genau gemacht und erfahren hat, klären wir jetzt!

Matyáš, du hast zweierlei Dinge für dein Projekt gemacht. Zum einen hast du dich selbst mit den Stolpersteinen beschäftigt und zum anderen hast du über eine Person berichtet, die noch direkter und konkreter mit ihnen zu tun hat. Wie würdest du deine Arbeit zusammenfassen?

Ich sollte für meinen Artikel in dem Grenzenlos-Projekt einen Gegenstand aussuchen, der irgendetwas mit der Geschichte zu tun hat. Die Schreibwerkstatt fand in einem Gebäude statt, vor welchem zufällig zwei Stolpersteine liegen. Da dachte ich mir: „Mein Guter, das wäre echt nicht schlecht darüber eine Reportage zu machen.“ Am Anfang war ich mir nicht sicher, ob ich genug Schreibmaterial haben werde und hatte deswegen auch die Idee, alle Brünner Stolpersteine zu fotografieren und dann später in eine Karte einzutragen. Für den schriftlichen Teil meiner Arbeit interviewte ich Jan, einen Schüler aus Šlapanice (eine Kleinstadt bei Brünn), der sich dort für das Setzten vier neuer Stolpersteine eingesetzt hatte. Das Schreiben nach dem Gespräch hat lange gedauert und mir nicht so super Spaß gemacht.

In Brünn gab es in der Zeit, wo ich die Stolpersteine fotografierte, insgesamt 273 Stolpersteine an 139 Orten. Das ist schon viel zu besichtigen. Ich bin daher mehrmals mit meinem Roller in die Stadt gefahren. Manchmal haben meine „City-Tours“ sogar 3-4 Stunden dauern können, aber mir hat es zum Glück ziemlich Spaß gemacht.

Wie bist du auf Jan aufmerksam geworden?

Zuerst kontaktierte ich Židovská obec Brno (ŽOB), die jüdische Gemeinde Brünn, die für die Stolpersteine in Brünn sorgt. Als eine Antwort wochenlang ausblieb, schaute ich nach Alternativen. In einem Artikel erfuhr ich von dem Chronisten Josef Kopecký, der Professorin Michaela Bičanová und dem Schüler Jan Mikulka, ohne die die besagte Stolpersteinverlegung nicht möglich gewesen wäre. Dass sich ein junger Bursche daran beteiligte, beeindruckte mich sehr. Ich habe seinen Facebook Account gefunden und fragte ihn nach einem Interview. Glücklicherweise war er damit Okay.

Haben Jan und du Erfahrungen mit Leuten gemacht, die weniger begeistert von eurer Arbeit waren?

Als der Stolperstein eines gewissen Rudolf Merhout gelegt wurde, ist aus dem Haus eine Frau gekommen. Sie zeigte ihre Unzufriedenheit und argumentierte, dass sie darauf bestimmt irgendwann ausrutschen würde. Der mehr als 90-jährige Sohn von Rudolf Merhout war dabei und versuchte der Frau zu erklären, dass sein Vater von Nazis ermordet wurde. Ihr schien es egal zu sein, was Jan sehr traurig fand. Auch ich empfinde es als traurig.

Gibt es einen Stolperstein oder ein Ereignis, das dir besonders im Gedächtnis geblieben ist?

Ich habe mir viele Namen gemerkt, jedoch nicht alle. Ein besonderes Ereignis habe ich allerdings. Einmal musste ich eine so steile Straße hinauf, dass ich zu Fuß schneller als mit dem Roller war. Die Sonne schien, es war warm, ich schwitzte, ich war ziemlich erschöpft. Zusätzlich hatte ein Hund mich so erschreckt, dass ich fast einen Herzschlag kriegte. Das alles hatte ich erleben müssen, nur damit ich dann feststellte, dass der Stolperstein nicht mehr da war. Ich ahnte nicht, dass ihn jemand so schlimm ramponiert hatte, dass er weggenommen werden musste. Jedoch ist er in Google Maps immer noch zu finden. An dieser Stelle sah ich noch eine Spur, dass er dort früher einmal lag.

Gibt es etwas über Stolpersteine, was viele Leute nicht wissen?

Ich würde schon eher sagen, dass viele Leute über Stolpersteine nicht Bescheid wissen. Zumindest wissen viele nicht, warum sie existieren und was sie bedeuten. Das ist schade. Es wäre genug, auf den Boden zu schauen und über einen zu stolpern. Auf ihnen erfährt man den Namen der Person, ihr Geburtsdatum und den Tag der Ermordung. Außerdem ist zu lesen wann und wohin die Person deportiert wurde. In manch glücklichen Fällen kann man lesen, wohin die Person flüchten konnte. Der Erste wurde schon im Jahr 1992 gelegt. Hier in Tschechien gibt es sie seit 10 Jahren. Viele wissen nicht, dass es auch viele sehr ähnliche Projekte, wie Stolpersteine gibt. Wir haben zum Beispiel noch die „Kameny zmizelých“, auf Deutsch „Steine der Verschwundenen“. Sie sehen fast gleich aus, nur ihr Maß unterscheidet sie von den 10×10 cm großen Stolpersteinen aus Messing. Außerdem dauert ihre Anfertigung wesentlich kürzer. Auch in Österreich gibt es mehrere Alternativen, die populärste nennt sich „Steine der Erinnerung“. Diese erinnernden Projekte sind der Beweis für die Grausamkeit der Nazis. Ich gebe zwei Beispiele: Rosa Wacklerová, geboren 27.3.1847, deportiert 23.3.1942 nach Theresienstadt, ermordet 6.6.1942 im Theresienstadt. Oder: Felix Schlesinger, geboren 2.5.1941, deportiert 31.3.1942 nach Theresienstadt, ermordet 7.8.1942 im Theresienstadt.

Woher kommt deine Faszination für das Thema?

Keine Ahnung, Faszination ist ein starkes Wort. Bevor Jan die Stolpersteine verlegte, hatte er darüber einen Bericht in der Šlapanický zpravodaj (einer Monatszeitung von Šlapanice) geschrieben. Meiner Meinung nach hat er da etwas Hervorragendes mitgeteilt: „Es gibt auch die Leute, über die in Lehrbüchern nicht geschrieben wird, und deren historische Bedeutung für die breite Gesellschaft fast unbekannt und die Wichtigkeit ihrer Taten fast vergessen ist.“ Stolpersteine sind Denkmale für Leute, die beruflich gesehen vielleicht gewöhnlich waren, aber unverdient gelitten haben. In manchen Fällen kämpften sie sogar für ihre Freiheit und Gerechtigkeit. Es wäre unfair sie so leicht zu vergessen.

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Das war nun ein Einblick Matyáš‘ Arbeit. Uns hat beeindruckt, wie akribisch Matyáš das Thema bearbeitet hat. Seine Reportage ist sehr informativ und eindrücklich. Und dazu gibt es Fotos von (fast) allen Stolpersteinen in Brünn.

Jetzt folgen ein paar Informationen über das zuvor erwähnte „NGL-Gurs-Projekt“. Im Rahmen des Projektes, befassen sich die Schüler aus Deutschland, aber auch Polen, Spanien und Italien mit biographischen Einzelschicksalen und historischen Ereignissen. Ziel ist es die Erinnerungskultur zu erhalten. Bei der dazu erstellten App „Footprints for freedom“ wirkte das NGL in einem internationalem Verbund ebenfalls mit. Gemeinsam erhielten sie für diese App den HISTOLAB-Preis des Europarats. Die App besteht aus einer Karte mit markierten Standorten in ganz Europa. Klickt man auf einen dieser Ortsmarker, so ist entweder ein kleiner Bericht oder ein Foto vorzufinden. Seit kurzem findet man dort ebenfalls die von Matyáš fotografierten Stolpersteine.

Wir hoffen wir konnten euch dazu bewegen selbst einmal einen Blick in die „Footprints for freedom“-App zu werfen. Vielleicht machen euch die Namen und Daten auf den Steinen neugierig auf die Geschichte und Schicksale, die dahinterstecken. Auf diese Weise werden die Menschen, deren Namen auf den Stolpersteinen stehen, nicht vergessen.

Wer mag kann sich Matyáš´ volle Reportage in dem im Januar erscheinenden „Grenzenlos-Magazin“ des Literaturhaues Stuttgart durchlesen.

Bleibt historisch interessiert.

Lena und Ruth, 11F