Flucht in die Freiheit
Erinnerung an die Geschichte

Warum sich mit Ereignissen beschäftigen, die über siebzig Jahre zurückliegen? Genau das haben derzeitige und ehemalige Schüler des NGL mit gleichaltrigen Deutschen und Franzosen in den ersten Tagen des neuen Schuljahres bei dem Projekt 'Gurs – Die Flucht in die Freiheit' getan. Dabei stand das französische Internierungslager Gurs im Blickpunkt. Ein besonderer Aspekt war die Frage, wie die Kunst den Menschen in der Krisensituation, der sie im Lager ausgesetzt waren, Kraft gegeben hat. Auch der Umgang mit Erinnerung in der jungen Generation war ein Schwerpunkt der Arbeit des Projekts, das der Förderverein Deutsch-Französische Kultur Stuttgart mit Unterstützung der Baden-Württemberg-Stiftung, der Landeszentrale für politische Bildung und der Stadt Stuttgart durchgeführt hat.

Das Lager Gurs befand sich im Vorland der westlichen Pyrenäen auf der französischen Seite des Gebirgszugs. Es wurde im Frühjahr 1939 für spanische Bürgerkriegsflüchtlinge eingerichtet und war eines der größten französischen Internierungslager. Nach dem Ausbruch des Krieges mit Deutschland internierte die französische Regierung dort ausländische „feindliche Staatsbürger“, darunter auch Deutsche, die vor dem Nazi-Regime nach Frankreich ins Exil geflohen waren. 1940 brachte das mit Nazi-Deutschland zusammenarbeitende Vichy-Regime dort über 6.500 Deutsche jüdischen Glaubens aus Baden und der Saarpfalz unter, nachdem diese aus ihrer Heimat von den deutschen Behörden in die unbesetzte Zone Frankreichs deportiert worden waren. Die Deportation der jüdischen Internierten aus Gurs in die Vernichtungslager im Osten begann im August 1942, noch vor der deutschen Besetzung der freien Zone Frankreichs. Nach der Befreiung des Lager 1944 werden Franzosen, die für das Vichy-Regime und die deutschen Besatzer gearbeitete haben, inhaftiert, bevor das Lager 1946 abgebaut wird und Bäume darüber wachsen.

 

Stimmen von Teilnehmern

„Die Tage waren eine sehr eindrucksvolle Zeit. Wir trafen nicht nur viele junge Menschen aus unterschiedlichen Schulen aus Baden-Württemberg, Hessen und Frankreich, sondern trugen auch zur Erinnerungsarbeit an die Verbrechen des Nationalsozialismus bei. Insbesondere hat mich das Schloss Grafeneck berührt. Dort wurde uns die Geschichte der ehemaligen Euthanasiestäte erläutert und wir konnten mit Menschen mit Behinderung, die heute dort leben, sprechen. Auch das Hotel Silber – zur Zeit des Nationalsozialismus ein Zentrales Gebäude für die Gestapo –, das heute zu einem Museum umgebaut ist, war interessant zu besichtigen. Alle Erfahrungen und Erlebnisse, habe ich als sehr bereichernd empfunden. Es war Geschichte zum Anfassen.“ (Vincent 11d)

 

„Der Holocaust – ein Thema, das bewegt und ein mulmiges Gefühl in den Magen setzt. So erging es auch uns, Schüler*innen der 11. Klasse, als wir von dem Internierungslager Gurs mitbekamen. Doch diese gemischten Gefühle ließen uns nicht scheuen, ganz im Gegenteil. Sie waren neben Interesse ein Grund dafür, das Begegnungsprojekt anzunehmen. Gemeinsam mit anderen Schüler*innen haben wir die deutsch-französische Geschichte durch Museumsbesuche, eine Stadttour, ein Konzert und Vorträge von Beteiligten aufgearbeitet. Es war schön zu sehen, wie offen man doch über das häufig verschlossene Thema sprechen konnte. Für mich am beeindruckendsten war der Besuch des Schlosses Grafeneck. Dieser Ort verbindet die vergangene Geschichte mit dem Heutigen, dem Hier und Jetzt. Er regt zum Nachdenken an und verhindert das Vergessen. Und genau dies ist der Auftrag unserer Generation, das Geschehene nicht zu vergessen und zukünftig zu einem friedlichen Miteinander beizutragen.“ (Laura 11g)

 

„Das Projekt Gurs hat für mich persönlich den Geschichtsunterricht auf eine höhere Ebene gehoben. Die Geschichte war ganz nah, wir waren an Orten, wo Grausamkeiten passiert sind, so an bestimmten Orten in Stuttgart, wie dem Nordbahnhof. Dem Ganzen räumlich so nahe zu sein, hat etwas in mir bewegt. Vieles konnte man dadurch besser verstehen. Manche Dinge bleiben jedoch weiterhin unvorstellbar, sie sind zu grausam. In meiner Empfindung habe ich mich manchmal auch zu weit weg gefühlt, vor allem zeitlich, als dass ich Zusammenhänge und Geschehnisse hätte nachempfinden können.

Wir haben andere interessierte Schülerinnen und Schüler aus Deutschland und Frankreich getroffen, es wurden wichtige, betretene, aber manchmal durchaus auch fröhliche Gespräche geführt, hierbei gab es auch keine großen Kommunikationsschwierigkeiten. Geschichte kennt keine sprachlichen Barrieren, sie betrifft uns alle und ist sehr vielschichtig. Es tat gut, dieses schwierige Thema in einer Gruppe zu behandeln und sich über Sachen austauschen zu können, die einen beschäftigten.

Die Geschichte prägt uns und unsere Gesellschaften, sie muss aufrechterhalten werden, damit man aus ihr lernt. Es war schön ein Teil dieser wichtigen Erinnerungsarbeit zu sein und an der deutsch-französischen Freundschaft teilzuhaben, welche damals so weit entfernt schien. Es hat mir ein gutes Gefühl vermittelt Menschen zu treffen, die die Geschichte lebendig erhalten und sich für die Aufarbeitung der Verbrechen einsetzten wie das in Grafeneck geschieht.

Auf der anderen Seite war dieses Projekt ein Impuls: es gibt noch weitere Arbeit zu leisten, es sind noch nicht alle Geschehnisse von damals fertig aufgearbeitet. Aus diesem Grund war für mich die Veranstaltung sehr wichtig. Ich habe realisiert, dass es an uns hängt in Zukunft diese Erinnerungsarbeit weiterzuführen.

Wir haben in den Tagen des Projektes die Menschen des Camp de Gurs durch die dort entstandene, eindrückliche Kunst ein wenig kennen lernen dürfen und mir ist klar geworden, sie haben gelebt! Sie haben ihre Hoffnungen und Wünsche nicht aufgegeben, sie haben sich ihren Grundbedürfnissen hingegeben, darunter auch der Kunst: geschriebene, atemberaubende Liedtexte; komponierte Musikstücke; beeindruckende Texte und Gedichte, bis hin zu Tagebucheinträgen über die Konzerte, die Tänze und die Freuden, die die Gefangenen des Lagers veranstalteten und verspüren konnten. Die Menschen haben sich durch die verschiedenen Künste Ausdruck verliehen.

Unter ihnen waren auch namhafte, bekannte Künstler der damaligen Zeit, doch ich glaube, dass dort jeder zu einem kleinen Künstler geworden ist. Die Künstler des Nicht-Aufgebens, die Künstler der Freude in diesen schweren Zeiten, oder sogar die Künstler des Überlebens. Auch wenn es fast keine Überlebenden gab, wir lassen sie mit unserer Erinnerung überleben und ihre Kunst lässt sie dies ebenfalls.“ (Charlotte 11d)

 

Ansprechpartner: Frau Mayer-Schlenker, Herr Rüdel