Mit dem Herzen sehen
Besuch in der 6d

Die letzte Deutschstunde der 6d war anders als sonst, denn statt Rechtschreib- und Grammatikübungen konnte Frau Schmitt den Sechstklässlern nun das Mini-Projekt „Mit dem Herzen sehen“ anbieten. Frau Anja Schlisske, welche durch eine Herpesinfektion im Auge im Jahr 2004 fast vollständig erblindete (Sehvermögen beschränkt sich nur noch auf 2%), besuchte hierzu diese Klasse mit ihrer Blindenhündin Brenda sowie ihrer Assistenzkraft Klaus T. extra aus Leonberg.

Der Weg ins Neue Gymnasium Leibniz war aufgrund der momentanen Baustellen-Situation an diesem Tag für Frau Schlisske die größte Hürde und sie war froh, als sie in der Schulklasse angelangte, welche sie äußerst neugierig und interessiert empfing. Die vielen Stufen in das Klassenzimmer der 6d im 2. Stockwerk stellten hingegen dank der ausgebildeten Blindenhündin Brenda keinerlei Schwierigkeiten dar und man konnte schon auf dem Weg ins Klassenzimmer erkennen, was für ein eingespieltes Team Anja Schlisske und Brenda sind. „Bildung für Toleranz und Akzeptanz von Vielfalt“ sind nicht nur Leitperspektiven des Bildungsplans, sondern auch die Herzenssache von Frau Schlisske. Sie liebt es, mit den Schülern zu sprechen und ihnen beizubringen, wie wichtig es ist, nicht zu zögern, wenn man Menschen mit Langstock (= Blindenstock) oder Blindenführhund sieht, diese höflich anzusprechen und Hilfe – z.B. beim Überqueren einer Straße an der Ampel oder den Zebrastreifen – anzubieten. Dass Frau Schlisske der Umgang mit Kindern keinesfalls fremd ist, merkt man sofort und es stellte sich im Gespräch heraus, dass sie vor ihrer Erblindung als Erzieherin arbeitete. Zwar musste Frau Schlisske aufgrund ihres Schicksals diesen Job aufgeben, doch sie ist stets bemüht, ein so freies und selbstständiges Leben wie möglich zu führen, was sich auch darin zeigt, dass sie einen neuen Beruf als Verwaltungsangestellte beim Klinikverbund Südwest in Leonberg fand und noch immer nicht scheut, Reisen z.B. für Fortbildungszwecke auf sich zu nehmen. Das Reisen traut sie sich weiterhin zu – wenn auch aus Liebe zur fast zehnjährigen Hundefreundin momentan nur in Deutschland – und verriet der Schulklasse, wie sie fremde Unterkünfte erkundigt: Im Uhrzeigersinn wird der neue Raum durch genaues, konzentriertes Hören und Abtasten wahrgenommen. Dass sie sich Räume vorstellen kann, ohne diese zu sehen, konnte sie gleich im Klassenzimmer der 6d beweisen: Obwohl sie den Raum noch nicht einmal abtastete, wusste sie genau, wo die Wände waren, wo sich die Tafel befinden musste und dass der Raum über mehrere offene Fenster verfügte. Auch berichtete Anja Schlisske der Klasse, dass man auch Reiten, Schlittschuhlaufen und Skifahren trotz verlorenem Sehvermögen ausprobieren kann – zumindest wenn man hierbei Hilfe erfährt. Einzukaufen ist ohne Begleitperson allerdings eine zu große Herausforderung, doch sie beherrscht neben der erlernten Punktschrift (= Brailleschrift) für blinde Menschen oder Menschen mit Sehbeeinträchtigungen  noch immer das Schreiben der sogenannten Schwarzschrift und kann daher noch Einkaufszettel schreiben. Die Schwarzschrift ist die visuell wahrnehmbare Normschrift, welche auch wir im Unterricht nutzen, wenn wir in unser Heft oder an die Tafel schreiben. Frau Schlisske verwendet nicht nur die Ohren und den Tastsinn, sondern muss auch die Stimme ihres Herzens nutzen und anderen vertrauen uns sich helfen lassen. Zu den Schülern hatte sie auch gleich Vertrauen und beantwortete ganz offen all ihre Fragen. Die Sechstklässler hatten sich in den vorherigen Stunden bereits mithilfe von Zitaten aus dem Jugendbuch „Behalt das Leben lieb“ von Jaap ter Haar sowie Übungen zum Perspektivwechsel mit dem Thema „Blindheit“ beschäftigt und wollten nun jede Menge zu diesem Thema, den Hilfsmitteln für blinde Menschen, Frau Schlisskes Erkrankung oder auch ganz allgemein zu ihrem Leben wissen. Selbstverständlich wurde auch die Assistenzhündin Brenda von den Schülern ins Herz geschlossen und sie freuten sich, dass sie diese sogar streicheln durften, nachdem das Blindenhund-Führgeschirr abgenommen wurde und die Hündin eine sogenannte „Dienstpause“ machen konnte.